Die Rückständigkeit ist mein täglicher Begleiter. Ich sehe sie in jedem Stall, über 80%, der von mir behandelten Pferde, sind davon betroffen, aber für die Besitzer ist sie meistens unsichtbar.
Rückständigkeit - was ist das eigentlich?
Wir Therapeuten reden von Rückständigkeit, wenn das Pferdebein nicht mehr senkrecht im Lot steht. Wird vom Buggelenk eine senkrechte Linie zum Boden gezogen, dann sollte die Spitze der Zehe in dieser Linie sein. Befindet sich die Zehenspitze hinter dieser Linie, dann gilt das Pferd als rückständig.
Die meisten Pferdehalter bitte ich in diesem Fall einmal zu mir zu kommen und sich mit mir das Pferd von der Seite anzuschauen und die Reaktion ist immer ähnlich „Oh ja krass, ich sehe was du meinst, das ist mir noch nie so aufgefallen“.
Wenn ich dann weiter Frage, ob sie wissen, wie lange das schon so ist oder ob die Rückständigkeit schon da war, als sie das Pferd gekauft haben, herrscht meistens Unsicherheit.
Und genau deshalb wollen wir hier und jetzt darüber reden, denn
1. Rückständigkeit ist nicht normal und behandlungswürdig
2. Rückständigkeit ist ein Frühmarker, ein Alarmsignal
3. Rückständigkeit ist Reitweisen unabhängig
Warum ist Rückständigkeit so gefährlich?
Das Pferd nutzt das Bein in diesem Fall in einer unphysiologischen Stellung und unphysiologische Bewegungen bedeuten immer Verschleiß.
In diesem Falle werden vor allem die palmaren Strukturen, dazu gehören unter anderem die tiefe Beugesehne, der Fesselträger, die oberflächliche Beugesehne und die Gleichbeine, unverhältnismäßig mehr belastet. Es können also mit jedem weiteren Tag Training in dieser Stellung Mikroläsionen in den genannten Geweben entstehen, die dann nur noch das i-Tüpfelchen brauchen, die beliebte Grätsche auf der Wiese, um das Fass zum überlaufen zu bringen und häufig endet es mit einem Sehnenschaden.
Wie entsteht Rückständigkeit?
Rückständigkeit entsteht bei Reitpferden nahezu immer durch unsachgemäßes Training oder unpassendes Equipment. Punkt. Das ist hart, das tut weh und vor allem verlangt das ziemlich viel Eigenreflexion. Aber was passiert im Körper?
Das Pferd erfährt im Training eine zu schnelle Rahmenbegrenzung mit der Hand, wodurch der Halshebel künstlich verkürzt wird bei gleichzeitig noch nicht ausreichender Schubentwicklung in der Hinterhand. Durch den verkürzten Rahmen nähern sich der mittlere und untere Teil des Halswirbelsäule an die Brustwirbelsäule an und das Pferd hat nicht mehr die Möglichkeit sich in das Nacken-Rückenband zu "hängen".
Der Spannungsbogen wird also unterbrochen und dem „Motor“ des Pferdes fehlt die Verbindung zur Vorderhand. Aber das Pferd muss ja dennoch laufen. Wenn also von hinten nichts schiebt, dann beginnt das Pferd mit den Vorderbeinen zu ziehen und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
Jede von euch hat sicher das Bild eines Schwimmers oder Kletterers vor Augen, mit ihrem sehr stark ausgeprägten breiten Rückenmuskel, dem M. latissimus dorsi. Was machen diese Sportler? Sie ziehen mit der Kraft der Arme ihren Körper in die Vorwärtsbewegung und genau das passiert auch bei den Pferden. Da der M. latissimus dorsi das Vorderbein am Oberarm einmal von innen umschlingt, zieht er das Bein, wenn er stärker beansprucht und damit trainiert wird, in die Rückständigkeit.
Die Ursache für Rückständigkeit ist in den meisten Fällen also ein unsachgemäßes Training, das dem Pferd eine zu starke Aufrichtung, in Relation zu seinem bisherigen Trainingsstand, abverlangt. Die zweite Variante ist ein unpassendes Equipment. Ist das Kopfeisen des Sattels zu eng, dann zieht das Pferd das Schulterblatt nach vorne, um den Schmerzpunkt zu verringern.
Mein Pferd ist rückständig – was soll ich tun?
Du solltest Trainer/in und Therapeut/in kontaktieren und mit beiden gemeinsam einen Plan ausarbeiten. Es gibt einige Übungen, die du selber am Pferd durchführen kannst. Je nachdem wie lange die Rückständigkeit schon besteht bedarf es aber auch einer mehr oder weniger ausgiebigen Therapie durch Fachpersonal und natürlich muss zweifelsfrei die Ursache geklärt werden. Im nächsten Schritt muss dann das bisherige Training besprochen und angepasst werden.
Ein Pferd aus der Rückständigkeit heraus zu holen ist ein sehr langer Prozess und bedarf eines strikten Plans über einige Monate, aber die investierte Zeit lohnt sich. Dein Pferd wird sich wohler fühlen und ihr werdet lange gemeinsam Freude haben!
Tatsächlich mag es oft die Reitweise sein, aber wohl nicht immer. Mein Wallach (jetzt 6) hatte bereits beim Kauf diese Rückständigkeit, war 3jährig & komplett roh, von riesigen Weiden kommend. Die Vorderzehe stark abgelaufen, man hatte bei den ersten Reitversuchen das Gefühl, er läuft nach vorne unten. Das hat sich jetzt deutlich gebessert und die Rückständigkeit ist zurückgegangen, die Zehe der Vorderhufe ist länger. Er trägt jetzt den Kopf freilaufend oft höher als vorher. Bislang gute Erfahrungen mit spanischem Schritt, angaloppieren aus Halt und Schritt (was er hervorragend macht). Gerne weitere Tipps, dazu steht leider nichts in dem Artikel. Nicht immer ist es der Reiter, der sein Pferd auf die Vorhand bringt. Jungpferde haben zumindest meist ein Bein mehr unter…